Babybird – Gently Please

Man fragte sich schon vor sechs Jahren, wie lange STEPHEN JONES alias BABYBIRD seinen Wahnsinn noch weitertreiben kann. Schon damals veröffentlichte er nach und nach Dutzende Alben. OUTSIDER war nur eines seiner vielen Projekte. Seitdem ging das manische Werk unaufhörlich weiter und fand immer neue Faccetten, in denen Outsider nur eine ist. Rund 45 BABYBIRD-Alben entstanden seitdem, zuzüglich 50 weitere Alben in anderen Projekten. Zumindest lebt er noch und hat sich tatsächlich eine neue Internet-Fangemeinde erspielt, die fasziniert seine Aktivität verfolgt.

Wovon erzählt also der einstige Britpopper 2021? Zum Beispiel von der Vergangenheit: Am Klavier berichtet er von einer Trennung am 25.1.1999 in „Bad Habit“. Im Refrain ist seine kaputte Stimme, doch diese Gitarrenmelodie – das ist wirklich noch immer BABYBIRD. Er kann nach wie vor Songs wie „All I Want Is Love“ schreiben.

Im Lofi-Track „Chewing Gum“ rollt er seine Rolle als verkanntes Genie aus: „Between my ears is nothing but music.“ Die Todesnähe, die er immer wieder in der Vergangenheit ansprach, muss ihm gerade in der Pandemie als sinnlos erschienen sein („Almost Cured Of Sadness“). Wo genau liegt eigentlich der Sinn eines Sängers in der Postmoderne, wenn buchstäblich jeder ein sogenannter Youtube- oder TikTok-Star für eine Minute sein kann? 

Zu zarten Beats in „No Cameras“ singt er „And you cry tears, that nobody sees“ in die Unendlichkeit. Es folgt der Jazzpopper „Perfect Suburban Clone“. Auch hier ist es der urbane Musiker, dessen Kunst zwar präsent aber ungewürdigt ist. Jones hat jetzt so viele Jahre hindurch, sich selbst thematisiert, dass es Zeit wird, auch mal politisch zu werden („Photosynthesis“). Der Pianotrack „The World Is Ours“ klingt genauso anklagend und endgültig wie PETERLICHTs „Alles was Du siehst gehört Dir“ Und mit Autotune hat Jones natürlich auch schon experimentiert („Gold Rabbit“).

Es gab mal eine Zeit, da war die Arbeit von Altenpflegern, Krankenschwestern und Kassenkräften den Leuten mehr wert als Gratisapplaus. Und es gab mal eine Zeit, da war Musik der Gesellschaft etwas wert – Geld für Platten und Konzerte. Da ließen Künstler Haare für die Kunst, zahlten Blut, Schweiß und Tränen. Babybird hat gezahlt. Reichlich. Ihm gebührt vielleicht nicht der Nobelpreis. Aber eine ordentliche Anerkennung. In Geld zum Beispiel.

 

Babybird
Gently Please. A Recap 1996-2021
(Selbstvertrieb)
VÖ: 13.01.2022

www.thestephenjones.bandcamp.com/album/gently-please

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