Die Präraffaeliten in der Pop-Musik

Die Präraffaeliten sind zurück in Berlin – nein, keine Band. Die Rede ist von einer Künstlergruppe aus dem 19. Jahrhundert. Warum das Musikfans interessieren sollte? Die hierzulande wenig bekannte Victorianische Avantgarde ist ein Style-Schlüssel der modernen Popmusik.

Nach dem Erfolg der 2004er Ausstellung „Natur als Vision“ können bis Ende Januar ein paar Werke der Präraffaeliten als Teile der „Botticelli Renaissance“ in der Gemäldegalerie bewundert werden (Rossetti, de Morgan, Morris, Burne-Jones). Dass dahinter mehr steckt als Kitsch der englischen Romantik, wird dabei schnell klar. Leider fällt der Einfluss der Präraffaeliten (und durch sie Botticellis) auf die moderne Musik gänzlich unter den Tisch.

Wer sind diese Präraffaeliten überhaupt? Ihren Kern bildeten John Everett Millais, William Holman Hunt und Dante Gabriel Rossetti. Zusammen mit vier weiteren Künstlern gründeten sie im Jahr 1848 in London eine Bruderschaft, um gemeinsam gegen die Salonkunst ihrer Zeit anzumalen, die sie für spießig, langweilig und talentfrei hielten. Insgesamt verwarfen sie die gesamte Kunstgeschichte seit der Renaissance, eben seit Raffael. Ihr Geheimrezept war eine Kombination von alten Meistern wie Botticelli und dem hochmodernen, strengen Naturrealismus ihres Vorbilds Ford Madox Brown. Sie hatten Anhänger und Nachahmer in ganz Europa.

Ihre Rolle für die Kunstgeschichte wird immer wieder unterschätzt. Man kann sie als letztes Aufbäumen des modernen Realismus vor der Abstraktion des 20. Jahrhunderts sehen, als Teil des internationalen Symbolismus und als Vorväter des Surrealismus. Doch was hat das alles mit Popmusik zu tun?

Erstens gilt ihre Mittelalter-Verklärung als Inspirationsquelle vieler Musiker. Zu ihren Sammlern und Ausstellungsmäzenen gehören sowohl der LED ZEPPELIN-Gitarrist JIMMY PAGE, als auch der Musical-Komponist ANDREW LLOYD WEBBER.

Zweitens ist da die Überidealisierung von Frauen. Schon der Maler Salvador Dalí schwelgte in diesem „gespensterhaften Surrealismus des Ewig-Weiblichen“: „Ihre Schultern, die zusammenbrechen unter dem Gewicht jenes erblühenden legendären nekrophilen Frühlings, von dem Botticelli nur andeutungsweise sprach, verraten eine unheilbare Ermüdung.“ Diese seltsame Anmut versuchte in den Siebzigern der Designer Michael Fish einzufangen, als er MICK JAGGER in flamboyante Gewänder hüllte oder DAVID BOWIE androgyn für das Cover von The Man Who Sold The World drappierte. Bowie soll dabei von einem Rossetti-Bild inspiriert gewesen sein.

gabriel dante rossetti

David Bowie_The Man Who Sold the World

Webbers Ex-Frau, die Pop-Diva SARAH BRIGHTMAN, ließ sich gar in das Gemälde „The King’s Orchard“ von Arthur Hughes für ihr Album As I Came Of Age malen.

Arthur Hughes_The King's Orchard

sarah brightman_as i came of age

Auch die Ethereal-Bewegung der 80er bediente sich bei den Präraffaeliten, um ihren Style zu entwickeln. Aktuelle Epigoninnen sind etwa LANA DEL REY (etwa mit ihrem Videoclip zu „Born To Die“) oder FLORENCE + THE MACHINE (etwa mit ihrem Videoclip zu „Shake It Out“), die auf dem Ceremonials-Cover einem Model von Rossetti, Fanny Cornforth, nacheifert. Diese ist hier auf einem Foto von William Downey zu sehen.

Dante Gabriel Rossetti_Fanny Cornforth

florence + the machine_ceremonials

Drittens ist da die inhaltliche Nähe der Lyrics einiger Künstler. Ein Beispiel wäre „Lost Art Of Murder“ von den BABYSHAMBLES. Nicht nur, dass das Stück das letzte auf dem Album Shotters Nation ist, dessen Cover sich an „Der Tod von Chatterton“ von Henry Wallis anlehnt. Hier besingt PETE DOHERTY allerdings nicht den Selbstmord des Dichters Thomas Chatterton, sondern sich selbst im Vergleich. Er spricht von der Schönheit des Drogentodes, aber auch von der Sinnlosigkeit desselben.

Henry Wallis - The Death of Chatterton

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Viertens ging die Begeisterung mancher Musiker sogar soweit, dass sie Gedichte der Präraffaeliten vertonten und nachsangen. Letztere waren Fans von William Shakespeare, John Keat und Alfred Tennyson, malten Szenen von  deren Stücken und fingen an, selbst zu dichten. Damit lösten sie im englischen Bildungsbürgertum eine regelrechte Sonett-Mode aus. Ähnlich begeistert zeigte sich Brightman, so dass sie beispielsweise „In the Bleak Midwinter“ von Rossettis Schwester Christina sang.

Kaum zu glauben also, dass die Rezeption dieser Künstlergruppe in Deutschland noch so schwach ist. In Britannien gehören sie zur identitätsstiftenden Vorgeschichte.

The Botticelli Renaissance
Gemäldegalerie, Kulturforum, Stauffenbergstraße 40, 10785 Berlin
noch bis 24. Januar 2016

www.botticelli-renaissance.de

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