Hauptsache Provokation. Verschwörungspop Nr. 7

Noch nie konnte eine rechte Bewegung so viele bekannte deutsche Musiker für sich begeistern wie die verschwörungsideologischen Coronaleugner seit 2020. Aus dem Deutschpop unterstützten nach Kräften XAVIER NAIDOO, NENA und FRL. MENKE. Mag sich Naidoo mit einem kurzen Video im April 2022 auch oberflächlich und undurchschaubar distanziert haben, kann es nicht seine jahrzehntelange antisemitische Radikalisierung rückgängig machen, die in der Coronakrise ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat.
Auch in anderen deutschen Genres fielen Künstler auf, die zu rechten Aktivisten wurden: Aus dem Schlager sprangen MICHAEL WENDLER und BJÖRN BANANE auf, aus dem Elektrobereich DJ CAPTAIN FUTURE. Aus dem Gothic unterstützte SALINE GRACE mit dem Song „Der Meister Der Intrige“. Tragisch: Ende Januar 2022 starb Ex-IN EXTREMO-Mitglied BORIS PFEIFFER am Rande einer Coronaleugner-Demo.
Einen ähnlichen Weg wie Naidoo kann man für den Rapper ABSZTRAKKT seit dem nationalistischen Song „Walther“ beschreiben, der sich Stück für Stück in den Rechtsrap begab und sich seit der Coronakrise GALSTARR nennt. Auch interessant ist, dass seit 2020 Jens Ihlenfeldt, der Ex-Labelchef von Aggro Berlin mit dem Verschwörungsideologen Ken Jebsen zusammenarbeitet, der sich jetzt wieder Kayvan Soufi-Siavash nennt. Auch ähnlich wie Naidoo und Wendler wurde Rapper SIDO nach einer Diskussion über antisemitische Verschwörungstheorien aus einer Castingshow geworfen.
Forscher rätseln inzwischen darüber, ob mehr als Fehlinformationen und rechte Propaganda dahintersteckt, wenn Stars derart abrutschen. Sie bringen auch Enttäuschungsgefühle bei nachlassendem Erfolg und die Aufmerksamkeitsökonomie der (Sozialen) Medien ins Spiel. Das Auffallen um jeden Preis wirkt erbärmlich, kann sich aber bezahlt machen. So schaffte es MADONNA, durch das Teilen eines Videos mit verschwörungsideologischen Inhalten auf Instagram gleichzeitig sich wieder ins Gerede zu bringen, aber durch schnelle Reaktion auf den sich anbahnenden Shitstorm als nicht rechts zu markieren. Dieses Hop-On-Hop-Off bei Hype Trains ist die aktuelle Masche vieler Influencer.
Bei manchen Stars scheinen zu rechten Gedanken und zum Provokationsmarketing auch noch psychische Krankheiten zu kommen. Bekanntestes Beispiel ist Rapper KANYE WEST (YE). Der Milliardär hatte schon in den 2000ern Antirassismus mit Verschwörungstheorien verbunden. Nun fällt er immer wieder mit antisemitischen und rassistischen Provokationen im Alt-Right-Stil auf. Seine öffentlich präsentierte Unterstützung für Ex-US-Präsident Donald Trump dürfte dafür den Wendepunkt markiert haben. Die Trump-Fans bilden in den USA die dortige Coronaleugner-Bewegung und tauschen sich im Forum „Parler“ aus, das West jetzt kaufen will.
Eine weitere Rolle bei Wests Seitenwechsel könnte die postmoderne Theorie des Postkolonialismus gespielt haben. Deren Vertreter betreiben seit Jahren einen revisionistischen „Historikerstreit 2.0“, mit dem sie den Holocaust seiner Singularität berauben wollen, indem sie ihn als Teil des Kolonialismus darstellen. Auf diese Weise lassen sich etwa die Palästinenser als heutige koloniale Opfer Israels umdeuten, wobei als „Juden“ gedachte Israelis einseitig zu Tätern werden. Schon 2011 setzte West im Song „Who Gon Stop Me“ den Holocaust mit der rassistischen Unterdrückung der Schwarzen in den USA gleich. Im Januar 2022 schlug auch Schauspielerin Whoopy Goldberg in die gleiche Kerbe, als sie in einer Show erklärte, man könne den Holocaust nicht rassistisch nennen, weil ja Juden nicht schwarz seien.

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