Holland Festival 2015: Lulu | Beyond The Score | The End

POPTRAVEL. Unter diesem Namen berichten wir in unregelmäßigen Abständen vermehrt von unterwegs: Porträts, Interviews, Konzert- und Festivalberichte im berühmten Blick über den Tellerrand. Nach 2013 ging es ein zweites Mal zum HOLLAND FESTIVAL nach Amsterdam…

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Foto: Nora Römer

Vornweg ein kleiner Rückblick: In der Hauptstadt der Niederlande wird 1947 das HOLLAND FESTIVAL ins Leben gerufen. So kurz nach dem Ende des zweiten Weltkriegs sitzen den Niederländern die Jahre der Tyrannei noch gehörig im Nacken, entsprechend stark ist der Drang, die Kunst- und Kulturlandschaft mit neuen Ausdrucksformen wieder aufblühen zu lassen. Zahlreiche internationale Akteure machen das Festival schnell zu einer renommierten Plattform für darstellende Künste und interkulturellen Austausch.

Auch fast siebzig Jahre später zählt das älteste und größte Festival der Niederlande zu einem der weltweit wichtigsten Termine für Theater, Musik, Tanz, Oper und Film. Mehr als hundert Aufführungen sind über die Zeit von vier Wochen in völlig unterschiedlichen Venues zu sehen. Wir kamen in den Genuss von drei Premieren im Musikprogramm…

Den Auftakt macht eine Inszenierung von Lulu. ALBAN BERGs zweite Oper aus den 30er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts war vor einigen Jahren in den Fokus der Popkultur gerückt, als LOU REED für eine Inszenierung von ROBERT WILSON am Berliner Ensemble Songs komponierte – und diese schließlich mit METALLICA für ein gemeinsames Album einspielte. Schwergewichtig ist auch die Inszenierung von WILLIAM KENTRIDGE im Nationale Opera & Ballet in Amsterdam. Verantwortlich dafür ist zum einen der modernistische, kakophone, kongenial auf die Brüchigkeit der Charaktere verweisende Score, den das ROYAL CONCERTGEBOUW ORCHESTRA unter der Führung von FABIO LUISI spielt; zum anderen überlegt Video-Künstlerin CATHERINE MEYBURGH Bühne und Performance rastlos mit gigantischen Illustrationen, die mit der Tour de Force von Hauptdarstellerin MOJCA ERDMANN um die Aufmerksamkeit des Publikums ringen. Nach mehr als vier Stunden bleibt es so begeistert wie erschöpft zurück.

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Foto: Todd Rosenberg

Weniger bewegend ist die Installation Beyond The Score – A Portrait Of Pierre Boulez am Abend darauf im Muziekgebouw aan ’t IJ. Ohne klar auslesbare Linie wird eine Auswahl von Gedichtauszügen, Briefen und Onelinern des französischen Komponisten und Dirigenten PIERRE BOULEZ präsentiert, der seit Jahrzehnten Vokabular und Instrumentarium der Musik neu zu denken sucht. Die Konzentration der Musiker von ASKO|SCHÖNBERG und SLAGWERK DEN HAAG ist beeindruckend, doch das arg exzerptive Spiel, für das Stararchitekt FRANK O. GEHRY ein schlichtes Bühnenbild entworfen hat, ermüdet bald.

The End © Kenshu Shintsubo (3)
Foto: Kenshu Shintsubo

Die große Bandbreite, die das HOLLAND FESTIVAL allein im musikalischen Bereich auszeichnet, wird zwei Abende später unterstrichen. Cosplay-Fans bevölkern Lobby und Ränge der Nationaloper, denn mit The End bekommt HATSUNE MIKU ihre eigene Oper. Miku ist ein Geschöpf von Programmierkünstler KEIICHIRO SHIBUYA und wird zu Beginn von The End mit der Frage ihrer Sterblichkeit konfrontiert. Im weiteren Verlauf spielen ein an HAYAO MIYAZAKI gemahnendes Hasenwesen (Alice, anybody?) und die Etikette beim Telefonieren zentrale Rollen, auch Mikus groteske Verwandlung zum Drachen gibt es zu bestaunen, während Keiichiro hinter einer sargförmigen Leinwand steht und seinem Laptop donnernde Electronica entlockt. Nach anderthalb Stunden konstatiert die offenbar massiv transformierte Miku zur Frage, ob sie nun schlafe oder tot sei, dies mache letztlich keinen allzu großen Unterschied. Hm. Viel böllernder, hübsch bunter Lärm um nichts.

www.hollandfestival.nl/en

Unsere Volontärin Carina Hartmann hat die Recherche zu diesem Artikel unterstützt.

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Foto: Nora Römer

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