Muse – Simulation Theory

Oh nein, nicht auch noch MUSE! Auch die englischen Artrocker reihen sich ein in die 80er-Jahre-Retromanie. Man sieht es mit einem Blick auf das Cover. Und so wundert es nicht, dass es von Kyle Lambert entworfen wurde, der schon für Stranger Things tätig war. Sind Muse also mal wieder in Richtung Kommerz unterwegs?

Das kann man wohl sagen. Nie war eines ihrer bisher sieben Werke derart radiotauglich. Zwischen Elektropop und Poprock angesiedelt, kann man die eigene Stadion-Trademark ausspielen („Thought Contagion“). Dazu fuchtelt die Band mit Popkultur-Referenzen, dass es nur so eine Freude ist. Da springt Frontmann MATT BELLAMY im Video zum Powerpopper „Pressure“ voll ironisch im Michael J. Fox-Outfit aus Zurück in die Zukunft auf der Bühne herum, welches ja seinerzeit auf die Rock’n’Roll-Ära verweisen sollte. Dann wird der Prom-Ball von Critters gestürmt und von Zombies gefüllt. Okay…

Nun zitiert das Album die Simulationstheorie des Transhumanisten Nick Bostrom, die für Bellamy offenbar schlüssig ist. Zunächst wird im Video zum Synthietrack „Algorithm“ noch in Matrix-Manier die Realität als aufgezwungene Simulation hinterfragt („Burn like a slave / Churn like a cog / We are caged in simulations.“). Doch dann setzt sich Bellamy in „Something Human“ wieder die Coolness-Brille auf. Er hat sich mit der Situation abgefunden. Zu Flamenco-Rhythmen fährt er in den Sonnenuntergang.

Denn er hat ja seine Mission: „What we have’s the only thing worth fighting for“ singt er im Poprocker „Get Up And Fight“. Das würden etwa THE MIDNIGHT musikalisch nicht so schön hinbekommen. Hymnisch fordert der Sänger die Liebsten zum Kampf auf. Dies ist eine Botschaft, die mehr als vertraut klingt, denkt man an die Vorgängeralben. Sie war vor 10 Jahren in The Resistance genauso aktuell.

Klar, wirkt dieses postmoderne Empowerment abgedroschen. Doch warum lieben die Menschen den ganzen Retro-Style so sehr? Die Filme der Achtziger zeigten Nerds als Helden, was wie ein Gegenprogramm zu den seelenlosen Superhelden-Movies von Marvel und DC der 2010er wirkt! Und damit lässt sich natürlich gegen den Rechtsruck mobilisieren („Dig Down“). Doch diese sympathische Unterstützung der Unterpriviligierten verblasst, wenn man bedenkt, wie unkritisch diese einst so clevere Band hier vorgeht. Denn der unendliche zivile Machtkampf bringt auch Opferkonkurrenz und Backlashs mit sich: Manche Flüchtlinge schaffen es in reiche Länder, um hier tatsächlich als Männer Frauen zu vergewaltigen. Manche Homosexuelle schaffen es in den Mainstream, um als solcher Bisexuelle zu diskriminieren. Und manche Muslime schaffen es, öffentlich Kolonialismus zu beklagen, um Juden anzugreifen. Diese Widersprüche werden natürlich vom woken Kleinbürgertum geleugnet oder kleingeredet.

Wer so angepasst ist und im Gegensatz zu früher („Uprising“) der (Musik-)Revolution Bye-Bye sagt („Thought Contagion“), der gehört natürlich auf die großen Festivals. Doch dieses Weiter-So ist kein Fortschritt. Die scheinbare Ideologiekritik („Propaganda“, „Thought Contagion“) ist selbst ideologisch.

 

MUSE
Simulation Theory
(Helium-3, Warner Music)
VÖ: 09.10.2018

http://muse.mu

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