Oliver Gottwald – 2. OG

Ganze sieben Jahre ist das Solodebüt Zurück als Tourist von OLIVER GOTTWALD her, 11 Jahre das letzte Album Drei seiner alten Band ANAJO. Das ist eine verdammt lange Zeit und als Musiker muss man schon auf allen Social Media-Kanälen feuern, um wieder präsent zu sein. Woran hat es nur gelegen, dass er sich so viel Zeit ließ?

Eine psychoanalytische Antwort gibt bereits das Cover seiner zweiten Platte 2. OG. Benutzt man das Strukturmodell der Psyche, so wäre das Es der Keller, das 1. OG das Ich und das 2. OG das Über-Ich. Die viel zu hohen Ideale und Ansprüche an einen selbst können auch blockieren. Von Zurück als Tourist hat man noch die Selbstverurteilung als Schlaffi („Perpetuum Immobile“) und von Drei die Vorwürfe von außen der „Mädchenmusik“ im Kopf. Mit „Mustangmann“ auf der Lieblingslieder EP (2016) reagierte er darauf mit Trotz. „Alles Muss Raus“ war eine Art Rechtfertigung des alten Indiepop, nun verzeiht er sich selbst für seine Wutreaktion: „U“ mit alten Akkorden aus Anajo-Songs wie „Zähme Den Wilden Tiger In Mir“. Dies war „eine goldene Zeit“ fasst er bedauernd zusammen. Statt wie beim Debüt die Musik seiner Heimatband zu kopieren, ist jetzt endlich auch Indiepop zu hören, der überzeugend eigenständig ist. Olis Stimme ist endlich auch erwachsen-rau und nicht mehr jungshaft („Zukunftsmusik“).

Doch nicht nur Musikkritik hat ihm zugesetzt. 2. OG ist die deutlichste Auseinandersetzung mit der Homosexualität bisher, also um im Bild zu bleiben mit dem Keller. War bei Anajo das Schwulsein eine hochgehaltene, scheinbare Selbstverständlichkeit („Amsterdam-Mann“), wird es jetzt existenziell: Wie einst HERBERT GRÖNEMEYER („Männer“) ist da die Frage: Wann ist der Mann ein Mann? („Männer*“). Statt sich selbst weiter als triebgesteuerte Bestie zu sehen, möchte er auch seine Menschlichkeit wahrnehmen („Spiegeltest“). Die queere Szene, die sich auf Plattformen wie Romeo tummelt, glaubt er durchschaut zu haben („Rosa Anemonenfisch“). Vielleicht sucht man ja nach mehr als nur nach seiner eigenen Lust? Dazu braucht es vielleicht noch mehr Mut als zum Dating. Und da ist jemand, der einem jeden Wunsch erfüllen will: Oli nutzt Bezaubernde Jeannie und „Jeanny“ von FALCO, um die Widersprüchlichkeit der Beziehung in „Jeannie“ zu erklären.

Für solch eine kraftzehrende Entwicklung kann man Gottwald nur beglückwünschen. Sie hat sich gelohnt. Nun kann er in die Zukunft schreiten. „Der Weg ist immer weit.“

 

Oliver Gottwald
2. OG
(Lieblingslieder Records)
VÖ: 02.12.2022

www.olivergottwald.de

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