Als ANTIHELD vor zwei Jahren sich stärker dem Rock zuwandten, wirkte ihre Pose der kaputten Musiker noch aufgesetzt. Da war noch wenig Grunge zu spüren. Weitere Schicksalsschläge wie die Corona-Pandemie stoßen LUCA OPIFANTI und seine Jungs allerdings zu einem immer schrofferen und interessanteren Sound.
Schon „Sommer Unseres Lebens“ klingt äußerst kritisch. Hier ist nicht von Glück sondern von Verdrängung die Rede. Feiern statt demonstrieren, ist ja sonst angesagt in den deutschen Charts. Dass gerade Flüchtlinge im Meer und Rentner im Krankenhaus verrecken, sind eben keine sexy Gedanken. Auch das schleppende „Himmelblau“ hat nichts von der gezwungenen Hoffnungsfreude des gleichnamigen ÄRZTE-Songs. Nein, du kannst nicht „forever young“ sein, Liebling, das kannst du nicht.
Mit „Irgendwo Stirbt Grad Ein Kind“ hat Opifanti seinen ersten wirklich ehrlichen Song geschrieben, eine Punk-Ballade. Auf happy machen, will er nicht mehr: „Oh, was wir geworden sind“, stöhnt er. Er hätte ja gern an die Menschheit oder an Gott geglaubt, könne es aber nicht mehr. Mit „Standing In Line“ läuft er dagegen auf den ausgetretenen Pfaden der Religionskritik: Homophobie, Gehorsam, Kriegstreiberei, Missbrauch. Das klang bei Lisa Eckhart witziger. „Alles Gute Für Den Winter“ zeigt die verzweifelte Hilflosigkeit einer Greta Thunberg und Opifanti greift zwar den Wachstumswahn an, erteilt aber sogar der im Deutschpop so geliebten „Nichts-Ist-Für-Immer“-Ideologie eine Absage.
Am weiteren Grab eines Freundes singt er ein „Wiegenlied“ und beschwört für ihn den Ikarus-Mythos. Mit „My Only Friend“ portraitiert er sich selbst und seine Band rockt nach ROGERS-Art. Nun, Antiheld sind noch lange nicht die deutschen ANTIFLAG, aber Deutschpunks haben vielleicht neue Kumpane gewonnen.
Antiheld
Disturbia
(Arising Empire)
VÖ: 09.04.2021
Live
16.04.21, Köln, Gebäude 9
28.05.21, Aschaffenburg, Colos-Saal
03.09.21, Wuppertal, Live Club Barmen
17.09.21, Potsdam, Waschhaus
18.09.21, Annaberg-Buchholz, Alte Brauerei
