Für das Interview führt mich der Veranstalter der unkommerziellen Berliner Wohnzimmerkonzert-Reihe, Frank Przybilla, für Freunde Fränki, am 23. Juni in den gemeinschaftlich genutzten Garten seiner alten Wohnung in der Nauener Vorstadt in Potsdam. Er erläutert mir fröhlich das Konzept seiner Veranstaltungen, die er seit fast zwei Jahren in seiner, mit einer Mitbewohnerin im Jahr 2007 gegründeten, WG in Berlin-Pankow organisiert.
Wie kamst du auf die Idee, Wohnzimmerkonzerte zu veranstalten?
Die Grundidee entstand hier in meiner alten Wohnung im September 2007, als ich plante, zurück nach Berlin zu ziehen.
Welche Kriterien haben Künstler, die du einlädst, für dich zu erfüllen?
Wenn ich mir die Musiker aussuche, ist das sicher genauso wie bei einem Booker, der für sein Konzert oder sein Festival Künstler nach seinem Geschmack aussucht. Ich nehme mal Kemper vom Immergutrocken e.V. Er würde sich doch THE WEAKERTHANS, THE NOTWIST, BROKEN SOCIAL SCENE, KETTCAR, TOMTE, um mal nur ein paar zu nennen, nicht einladen, wenn er diese Bands selbst nicht mag, sondern glaubt, dass andere Musikbegeisterte seine Liebe zur Musik mit ihm teilen.
Das war z.B. bei PELE CASTER so, dass ich mich für PELEs Musik begeistern konnte und es dann ein Leichtes war, ihn einzuladen. Im Grunde war es umgekehrt. Er hat im September 2007 gefragt, wer von seinen Myspace-Freunden Lust auf ein Wohnzimmerkonzert hat und ich war sofort Feuer und Flamme für seine vielversprechende Aktion. Als sich meine Freundin einen Monat zuvor von mir trennte, ich sehr lethargisch gestimmt war und viele Liebeslieder, unter anderem SVEN VAN THOMS ‚Ich Könnte Weinen‘ konsumierte, hat mir jedesmal das Herz geblutet. Ich fand mich in den Zeilen wieder und fragte SVEN im November 2007, nachdem ich dieses Lied einen Monat rauf und runter hörte: „Hast du nicht Lust, mit PELE CASTER auf meinem Vierteljahrhundertsten zu spielen?“ Und er sofort: „Hey, mit PELE? Mach ich auf jeden Fall, bin ich gerne dabei.“ Die beiden kannten sich aus vergangenen Tagen und vom Immergut Festival, auf dem sie früher beide mit ihren Bands ASTRA KID und SOFAPLANET spielten.
Zudem finde ich, dass man junge Bands unterstützen muss.
Wie wirken die Konzerte in privater Atmosphäre aufs Publikum?
Gerade im Wohnzimmer, wo man wirklich Nase an Nase sitzt, die Plätze rar sind und der Künstler direkt vor dir auf dem Flokati steht, hast Du das Gefühl, ihm ein ganzes Stück näher zu sein. Man ist nicht nur Teil eines riesengroßen Publikums, sondern verschmilzt Angesicht zu Angesicht mit dem Künstler in Momenten, wo Musik damit beginnt, Geschichten zu erzählen. Das macht es für jeden Anwesenden persönlicher. Man hat die Chance, den Künstler direkt kennenzulernen und hat im Anschluss z.B. Zeit, sich über Interpretationen der Songtexte zu unterhalten.
Wie hat deine Nachbarschaft auf deine Konzerte reagiert?
Als wir STERNBUSCHWEG zur Einweihung meines Wohnzimmers im Mai 2008 begrüßten, hieß es im Nachbarhaus tags darauf: „Wer hat denn letzte Nacht so laut Musik gemacht?“ Und dabei kam die Musik doch aus unserem Wohnhaus.
Lustig war auch, als ENNO BUNGER im November 2007 die noch jungfräuliche, leere Wohnung bespielten, meine Untermieterin nach oben kommen und klingeln sollte. Nachdem ich ihr freundlich die Tür öffnete, kam sie sofort und recht entsetzt in die Wohnung hineingestürmt, hat ins Zimmer geschaut, die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und geschrien: „Da spielt ja eine Band! Das gibt’s doch gar nicht. Mit Schlagzeug! Ich rufe sofort die Polizei!“ Wenn zur hiesigen Jahreszeit Enten und Gänse plötzlich in den Norden ziehen, rufen wir doch auch nicht beim Naturschutzbund an!
Was sind die Kriterien für die Übertragbarkeit des Konzeptes?
Wer das unkommerziell machen will, sollte sich fragen: Warum will ich das überhaupt veranstalten? Bin ich zu faul, vor die Tür zu gehen? Oder einfach nur um mal wieder ordentlich zu feiern – zu Hause, nicht im Club! Oder um die eigene Leidenschaft mit anderen Menschen zu teilen? Oder generell um junge Künstler zu unterstützen? OLLI SCHULZ hat mal gesagt: „Kauft bitte CDs von kleinen Bands/Künstlern, denn die muss man unterstützen!“ Um auf deine Frage zurückzukommen: Ich denke schon, dass das jeder machen kann, wenn er das will.
Wie verortest du dein Konzept innerhalb der Alternativ- und DIY-Kultur? Braucht Kunst freie Räume?
Es ist wichtig, dass jeder Künstler sich frei entfaltet, ohne an einen bestimmten Ort gebunden zu sein. Wenn es keine Freiräume gibt, bleibt etwas auf der Strecke. Orte wie der gemütliche Magnet Club, die große Columbia Halle oder die gigantische O2 World sind öffentlich und anonym, während sich bei einem Wohnzimmerkonzert das „zu-Hause-Gefühl“ einstellt. Das Konzert ist privat und echt und Du teilst das Erlebnis im sehr kleinem Rahmen mit dem, der neben dir ein Glas Weißwein oder eine Flasche Bier trinkt und kommst außerdem recht leicht mit den Menschen ins Gespräch. Das schätzen die Gäste. Versuch das mal bei Placebo in der Arena. Kein Vergleich!
Wie planst du die Zukunft deiner Konzertserie?
Ins Wohnzimmer gehört Akustik, eine Geige, ein Cello, eine Triangel. Musik, die über den Lautstärkepegel einer aufgedrehten E-Gitarre hinausgeht, zerstört die Atmosphäre. Das Ziel für die Zukunft ist es, akustische Popkonzerte zu veranstalten, um nicht mit krachigen Schlagzeug-Soli die Mitbewohner des Hauses zur „Hausverwaltung“ und womöglich noch vors „Gericht“ zu zwingen.
Vielen Dank für das Gespräch!
BERNHARD EDER + DONNA STOLZ + PETER PIEK live am 16.09.09 um 20 Uhr in der Mühlenstraße 1, Pankow für 3 Euro
VVK: www.amiando.de/wohnzimmerkonzert