Die finstere Seite der Sexualität, ja der Liebe darzustellen, haben viele versucht. Wenigen ist es geglückt. Das neue Dungeon Synth-Solo-Projekt THE DIVINE ACCOLADE aus Leipzig versucht sich an einem uralten Stoff.
Zunächst muss dazu auf das Coverart eingegangen werden. Es zeigt die Ballade „La belle damme sans merci“ des englischen Dichters John Keats von 1819, die wiederum auf dem Gedicht von Alain Chartier aus dem 16. Jahrhundert beruhte. An diesem Motiv haben sich präraffaelitische Maler wie Walter Crane, Arthur Hughes, Dante Gabriel Rossetti, John William Waterhouse und Henry Meynell Rheam abgearbeitet. Hier ist es Sir Francis Bernard Dicksee.
Der Text ist in der Folk-Szene beliebt. So hatten ihn ALL MY FAITH LOST … bereits auf ihrem Demo Hollow Hills (2000) zitiert und vor kurzem LOREENA MCKENNITT. Kurz gefasst, fragt hier jemand einen Mann, den er in der Herbstnatur gefunden hat, warum dieser so bleich sei. Dieser entpuppt sich als Ritter, der eine schöne Frau ebenfalls in der Natur angetroffen und eine Affäre mit ihr hatte. Sie verlässt ihn und sein Herz ist gebrochen: Im Traum wurde er von untoten Königen, Fürsten und Rittern darüber aufgeklärt, dass er jetzt selbst verflucht sei, was seinen kranken Zustand erklärt. Fazit: Eine depressive Frau zieht Männer an, doch verängstigt sie, wenn sie sich selbstbewusst nimmt, was sie will – ein uralter Diskurs mit immer neuen Ergebnissen.
Was ist nun zu hören? Die fünf Nummern bestehen nicht nur aus Dungeon Synth. „Quest for Certainty“ ist eine nachdenkliche Melodie. Musikerin ATLA fragt sich: Liebe ich wirklich? Und ist es die Erhabenheit der Verliebtheit und die Beziehung wert, verletzlich zu sein bzw. verletzt zu werden?
Diese Fragen sind nicht mehr selbstverständlich zu bejahen in einer Zeit, in der Modekonzepte wie Polyamorie im Umlauf sind. Eine mittelalterliche Melodie in „Warm Embrace“ zeigt die Schönheit der Minne, der Verehrung für die/den Eine/n.
„Femme mauvaise“ ist ein Ambient-Titel mitsamt einer militärischen Fanfare, der das Bildthema der Person aufnimmt, die für die/den Liebende/n schlecht ist bzw. sie/ihn ins Unglück stürzt.
„Dost Thou Love Me Yet“ ist die bange Frage von Julia an Romeo (aus Romeo und Julia), ob er ihr auch treu sein wird. Sie zieht sich durch die Rockgeschichte wie etwa bei „Will You Still Love Me Tomorrow“ von THE SHIRELLES. THE DIVINE ACCOLADE packt hier die Metal-Gitarre aus, denn die Liebe hält nicht, was sie versprach. Treueschwüre sind nicht viel wert, wie auch „Lancelot’s Vow“ zeigt.
Atla schließt nun mit einer queerfeministischen Lesart den alten sexistischen Mythos von der Femme fatale für queere Menschen auf. Denn schon Julia in Romeo und Julia setzte sich über die väterliche Herrschaft hinweg und fragte auch: „What’s in a name? That which we call a rose by any other name would smell as sweet.” Wie auch der verbotene Romeo eine verbotene Frau sein könnte (in einer lesbischen Liebe), könnte auch der Ritter aus „La belle damme sans merci“ eine Ritterin sein. Sich verzweifelt in jemanden zu verlieben, ist kein Hetero-Privileg. Stellt sich die Liebe außerhalb der patriarchalen Ordnung, so zählt nur der Liebreiz Romeos bzw. der schönen, depressiven Dame. Allerdings mag es auch das Patriarchat sein, das Romeo erst so mächtig und begehrenswert wie auch die Dame so depressiv und damit scheinbar erreichbar formte. Würden sich Menschen in einer befreiten Gesellschaft hoffnungslos verlieben?
The Divine Accolade
The Divine Accolade
(Fiadh Productions/Vitadetestabilis Records)
VÖ: 19.05.23
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Live
21.07.23, Leipzig, Plaque