Der AI-generierte Blick in ein 80er-Kinderzimmer: Während man KRAFTWERK hört und den nächsten Dungeons & Dragons-Abend mit Freunden plant, läuft im Fernsehen der Tschernobyl-Skandal von 1986. So blicken THE SECRET CHORD in ihrem neuen Album auf sich selbst zurück und sortieren sich nicht den Millennials (1981-96) sondern der Generation X (1965-80) zu. Nur zwei Jahre nach dem Aufbruch ins All mit Fermi Paradox suchen sie die Ursachen für den heutigen Missstand in der Vergangenheit.
Schon 2021 kooperierte Sängerin NINA mit den Schweden für eine Liebeserklärung an „Berlin“. Nun erzählt sie halb deutsch/halb englisch von ihrer Kindheit in der deutschen Hauptstadt in „Dreamers“: „Wir waren die Kinder des Kalten Krieges mittendrin gefangen“ zwischen den Supermächten. Der drohende Atomtod bildete den Hintergrund für dieses Aufwachsen, versinnbildlicht mit Popikone NENA: „Songs told stories about the world’s end: ’99 Luftballons auf ihrem Weg zum Horizont‘ – Anthems of our generation.“ IDA TROSELL versucht, die heutige Erkenntnis zu beschreiben: „We never realized just how bad it was, blissfully unaware of the game behind the scenes. Riding around on our bikes in our safe suburbia, while the navy hunted Soviet subs in the archipelagos. It was a silent storm.“ Außerdem erzählt Trosell vom legendären „Checkpoint Charlie“.
Weiterhin will die Band Nostalgie und Verantwortung verbinden. Im Titeltrack bekennt Ida: „It was a golden age, but a decade of decadence.“ Zudem versteht sie, dass sie nur die westliche Sicht wiedergibt: „Wondering what life was like on the other side. Did they also dream of world peace and democracy?“ Der heutige Aufstieg von Nationalismus und Diktatur in den ehemaligen Ostblockstaaten lässt daran zweifeln. Die westliche neoliberale „Schocktherapie“ gegen diese Länder nach 1989 wird hier allerdings unterschlagen. Jetzt erschreckt die Band vor dem internationalen Rechtsruck: „Now it’s happening again. Are we reaching the end? People seem to want freedom from choice, no liberty.“ Die Schweden solidarisieren sich mit den Ukrainern gegen die russische, scheinpazifistische Propaganda: „Like a flock of sheep who think war is peace. If you want to be free, it’s time to fight autocracy!“ („We Were The Cold War Kids„) In „The Baltic Way“ richtet sich ihre Angst vor dem drohenden Angriff direkt gegen das russische Regime.
Noch interessanter ist ein weiteres Feature: „Daniel“ ist das Denkmal von Synthiewave-Kollegen OLLIE WRIDE für einen Sozialarbeiter, der sich einst um Punks kümmerte. Selbst die Jugendclub-Bewegung der Wendezeit scheint hier durch. Und im Rechtsstreit zwischen Johnny Depp und Amber Heard stellt sich Trosell demonstrativ auf die Seite von Amber („Burn The Witch“). Dass die Schauspielerin Heard libertär denkt und die Sängerin Nena Impfgegnerin ist, spielt natürlich keine Rolle.
Musikalisch scheitert die Band nach wie vor an der Aufgabe, Popsongs zu schreiben, die nur annährend an das Hitpotential von 80er-Titeln heranreicht. „Take Me Home Tonight“ ist ein langweiliger Lovesong im Vergleich zu dem Poprock-Überhit von EDDIE MONEY (1986). Man erzählt lieber die Geschichte der nach dem Song benannten Filmkomödie von 2011 nach. Dass er aber eigentlich mit Synthies umgehen kann, beweist Producer JOAKIM PAULSSON erneut mit dem instrumentalen „Stanislav Petrov„. Einzig der Solidarność-Lyrics-Song „Polonia“ kann mit seinem Post-Punk-Beat wirklich überzeugen.
The Secret Chord
Generation X
(NewRetroWave Records)
VÖ: 14.03.2025