Was ist nur aus Amor geworden? Reezy, Wanda und der Liebesgott

In Caravaggios berühmten Gemälde von 1602 besiegt die Liebe alles – auch die Musik

Junge Liebe war Jahrhunderte lang ein Mythos. Dann wurde sie Kitsch und jetzt ist sie Lust. Die Symbolfigur Amor, Cupido oder Eros ist kein Kind mehr. Der einst unschuldige Liebesgott ist heutzutage eine Rolle für Menschen, die als promiskuitiv gelten wollen. Grinsend wird sie von MARCO MICHAEL von WANDA aber auch von Trap-Rapper REEZY eingenommen.

Ursprünglich war Eros der göttliche Knabe, der frech seine Verwandtschaft mit seinen Pfeilen ineinander verliebte. Diese Scherze hörten erst auf, als er in Apuleius‘ Metamorphosen sich selbst den Liebesschmerz zufügte. Dass seine Mutter Aphrodite ihm die süße Prinzessin Psyche verbot, diese aber um ihn kämpfte, besänftigte ihn. Die Geschichte diente etwa Shakespeares Romeo und Julia als Vorbild und wurde in der Kunst bis ins 20. Jahrhundert hinein immer mehr verniedlicht.

MARILLION – Misplaced Childhood (1985)

In der Popmusik erschien Amor etwa in Gestalt von Robert Mead, dem Jungen von MARILLIONs Konzeptalbum Misplaced Childhood (1985). Im Kino wurde nicht nur Shakespeares Romeo und Julia postmodern-popstylisch dargestellt (Romeo + Juliet, 1996 mit Leonardo DiCaprio als Romeo und Claire Danes im Engelskostüm). Auch die Amor und Psyche-Geschichte tauchte neu auf im Geister-Kinderfilm Caspar (1995).

Und wo wir schon bei Teenie-Kitsch sind: Die KELLY FAMILY hatte bekanntlich ihren größten Hit 1994 mit „An Angel“, in der der androgyne PADDY ein himmlisches Wesen anhimmelte. Sein kleiner Bruder ANGELO flirtete jedoch im Refrain des Videos im goldenem Lockenhaar so mit der Kamera, dass die weiblichen Zuschauer eigentlich nur hauchen konnten: „Oh ja, du bist ein Engel.“

REEZY – Teenager Forever (2019)

Das postmoderne Internet- bzw. Pornozeitalter bringt jedoch eine ganz neue Jugend und Kindheit hervor, in der weder Liebe und Lust selbstverständlich zusammengehören, noch Treue ein hoher Wert ist. Darum ist es nicht verwunderlich, dass sich die Inhalte der Musiker ändern. Mr. Wanda sang schon in „Jelinek“: „Ich trag ein Engelskostüm in der Nacht.“ Selbiges trug er dann im Video zu „Columbo“ vom letzten Album. Seine „Amore“ steht lyrisch stets für die körperliche Liebe („Bologna“).

Reezy rappt in „PMW“: „Ich bin wie Amor, schieß‘ mit dem Pfeil (yeah, Amor). Treff‘ ihr Herz, liebe sie für ’ne Night (One night).“ Es gehört zum Selbstbild vieler Rapper, dass sie es sind, denen die Herzen zufliegen, nämlich die von massig Groupies. Im 3D-Video zu seinem Feature „Amor“ mit YUNG HURN sind es entsprechend Damen, die Engelskostüme tragen. Mit dem Umgang seines ehemaligen Idols R.KELLY mit Fans hat sich Reezy erfreulicherweise beschäftigt. Vielleicht wird heutzutage eben eher die Tochter von Amor und Psyche verehrt: Voluptas, die Wollust. Glaubt man dem Philosophen Byung-Chul Han, verschwindet der Eros schließlich in der Gesellschaft und zurück bleibt Pornographie.

Geradezu anachronistisch keusch wirkte 2017 Disneys Film zum Märchen Die Schöne und das Biest, das ja auf dem Psyche-und-Amor-Mythos beruht. Doch diese Version war freilich nur die unkreative Realverfilmung des Disney-Klassikers von 1991.

 

Reezy
Teenager Forever
(Two Sides)
VÖ: 22.03.2019

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