Metoo reißt die Mauer des Schweigens ein

Wer noch vor 10 Jahren den Sexismus des Deutschraps kritisierte, wurde als humorloser Kunstbanause ausgebootet. Doch die #MeToo-Bewegung kennt keine Geduld und Genregrenzen mehr. Jetzt ist geschehen, wovor die englische und deutsche Musikindustrie immer zitterte: Nach Kino, Theater, Showbusiness und Medien knöpfen sich die Aktivistinnen nun die erfolgreichsten Pop-Genres vor: Deutschrap und Elektro. Die postmoderne Bewegung greift endlich postmoderne Medien an. Doch während die deutsche Punkszene unter #PunkToo die Debatte für feministische Gleichberechtigungsforderungen nutzt, herrscht bislang im Mainstream das Schweigekartell.

Am 15. Juni warf die Influencerin Nika Irani auf Instagram dem Rapper SAMRA Vergewaltigung vor. Er stritt sofort alles verängstigt ab. Das Major-Label Universal legte die Mitarbeit mit ihm auf Eis und positionierte sich gegen sexualisierte Gewalt. Dieser bislang einzigartige Vorgang hierzulande hat ein Beben in der Rapszene ausgelöst. Tausende Fans solidarisieren sich mit Irani bzw. Samra. Die Leitmedien widmen sich dem Thema und die Rapmedien stehen wegen Kumpanei unter Beschuss. Während in den USA der Kampf bei R.KELLY stehen blieb, könnte jetzt die Deutschrapszene insgesamt Probleme bekommen.

Die Ängste sind nicht unbegründet: Vor einem Jahr griffen User über den Insta-Kanal @lured_by_burger_records das Indielabel Burger Records an. Produzenten und Musiker würden sich an Fetischisierung und Grooming von Teenagern sowie sexuellen Missbrauch beteiligen. Pseudoverständnis und Popfeminismus halfen dem Label nicht mehr. Ende Juli 2020 ging es mit ihm zu Ende, nachdem Vorwürfe gegen die BLACK LIPS, THE GROWLERS, SWMRS und THE BUTTERTONES laut geworden waren.

Dass ein solch systematischer Missbrauch auch im Deutschrap existiert, brachte Moderatorin Visa Vie auf den Punkt: „junge Frauen, oder Minderjährige werden nach Konzerten ausgesucht, abgefüllt, in Hotelzimmer gebracht, danach weggeschickt…)! Für einen großen Teil dieser Szene, war das die letzten 20 Jahre ein absolut selbstverständlicher Bestandteil des Tour- und Rapper-Lebens. Labels, Managements, PromoAgenturen, Medien, Werbepartner… (fast) alle haben davon gehört, es gewusst, toleriert und einfach weiter mit den betreffenden Künstlern zusammen gearbeitet“ [sic]

Unter #deutschrapmetoo werden jetzt auf Instagram derartige Vorwürfe gesammelt. Ähnliches geschieht seit letztem Jahr auch in der britischen Elektroszene dank der Website metoo-music.com und der Kampagne #ForTheMusic. Wenn die Musikmedien tatsächlich teil der Rape Culture sind und nicht deren Kritiker, ist es gut und recht, dass die Gegenaktivistinnen das Netz und die sozialen Medien nutzen. Damit verlieren die klassischen Medien noch mehr an Relevanz. Sozialer Konflikt um Musik findet fast nur noch in den sozialen Medien statt.

Während Universal den sexistischen Song „Komm Mit“ von Rapper NIMO nun einkassierte (nachdem es ja Hunderte derartige Songs veröffentlichte), hat jetzt tatsächlich BUSHIDO sexuelle Belästigung vor 16 Jahren gegenüber einer jungen Frau oder gar einem Mädchen eingeräumt. Der Rapper also, der in den Medien immer als Vorzeigesexist der Szene galt und davon in den letzten Jahren nichts mehr hören wollte, stellt sich nun als Geläuterter dar – verständlich, gibt es doch ein Video. Auch der Fall Samra könnte vor Gericht glimpflich enden und wie Amy Zimmermann zur US-Problematik schrieb, kann Gewalttätigkeit im HipHop Erfolg sogar ermöglichen (How Hip-Hop Rewards Rappers for Abusing Women). Man denke nur an Rapper GZUZ.

Feministische Initiativen fordern seit Jahren die Zensur sexistischer Texte, die offenbar ein positives Signal für Sexismus innerhalb einer Institution ist. Sie können ironisch verstanden werden, sind aber oft allem Anschein nach ernst gemeint. Nun, dass Worte Macht haben, ist trivial. Wo Frauen lyrisch nur als „Gratis-Prostituierte“ gelten und weibliche Fans das auch mitgrölen, da wird sexuelle Gewalt oft akzeptiert – auf Partys, Konzerten, Festivals. Wo „schwul“ ein Schimpfwort ist, da sind Prügel gegen Homosexuelle zu erwarten und wo Kriminalität als Lifestyle gilt, ist es schwerer, Anzeige zu erstatten.

Allein, es reicht nicht, politisch korrekte Texte einzuführen oder hier und da mal einen Musiker vor Gericht zu zerren. Die Labels und Managements müssen jetzt verweiblicht werden – männliche Chefs, Produzenten, Rapper, DJs und Journalisten durch Frauen ersetzt werden. Wo dies nicht möglich ist, gilt es, die Firmen insgesamt anzuprangern.

Dass das Outcalling der Täter auch im 21. Jahrhundert viele ihrer Fans zur Gegenwehr und nicht zur Solidarisierung mit dem Opfer führt, ist weniger machtstrukturell als psychologisch erklärbar. Es gehört zur Aura des Stars, egal ob Chef, Sänger, Rapper oder DJ, dass er „alle Frauen haben kann“. TILL von RAMMSTEIN betonte dies mit dem Projekt LINDEMANN vor zwei Jahren: „Und die Männer werden staunen. Alle Frauen, alles meins.“ („Platz Eins“)

Psychoanalytisch gesprochen, ist es in der Postmoderne der missbrauchende Ur-Vater, der den prügelnden Patriarchen der Moderne wieder ersetzt hat. Der alte Konservatismus „bestrafte“, während der neue (uralte) sich einfach „nimmt“. Ein postmoderner Junge neidet seinem Lieblingsrapper den „Erfolg“ bei Frauen, weil er im neoliberalen Kampf aller gegen alle im HipHop nicht mithalten kann. Ein postmodernes Mädchen wäre gerne die Auserwählte ihres Lieblingsrappers, um nicht nur eine von vielen „Gratis-Prostituierten“ im sexistischen Umfeld zu sein. Was es also braucht, sind Jungs, die keinen Deutschrap mehr hören und machen wollen und Mädchen, die selbstbewusste Rapperinnen werden wollen.

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