Gedicht und Bericht. Mit Till und Duffy zur Metoo-Debatte

Prosit an TILL LINDEMANN! Weil er nicht-Corona-erkrankt getestet wurde, interessierten sich offenbar politisch korrekte Twitterer für seinen neuen Lyrikband und machten aus dem Vergewaltigungsgedicht „Wenn Du Schläfst“ eine große Nummer. Der eigentliche Skandal dabei ist, wie wenig Mühe sich der Weltstar dafür geben musste. Frühere RAMMSTEIN-Texte wie „Spieluhr“ hatten ja durchaus lyrische Tiefe. Lapidar erklärte der Kiepenheuer & Witsch-Verlag noch einmal die Unterscheidung von Werk und Autor. Unnötig eigentlich, hat doch Lindemann mit seiner Band erst im letzten Jahr durch den „Deutschland“-Video-Trailer meisterlich gezeigt, wie Provokation funktioniert. In diesem Jahr löste das Porno-Video zu „Platz 1“ seines Side-Projekts LINDEMANN in Russland Diskussionen und sexistische Anfeindungen gegen Schauspielerinnen aus. Und nun brachte er auch easy seine bisher wenig beachtete Lyrik ins Gespräch.

Aus dieser langweiligen Kunstfreiheitsdebatte kann sich nur substanziell etwas ergeben, wenn man sie mit der Metoo-Debatte in der Popmusik verbindet. Vergewaltigung spielte nicht nur in der Rockmusik schon immer eine Rolle, wie Joy Press und Simon Reynolds in The Sex Revolts nachgewiesen haben, sondern auch in der Literatur, weil Vergewaltigung zur scheußlichen sozialen Normalität gehört. So durften schon Millionen Schüler Goethes „Heideröslein“ im Deutschunterricht lesen, doch eklig wurde es dann, wenn ein Knabe wie HEINTJE es öffentlich singen musste und sicher nicht wusste, dass es darin nicht ums Blumenpflücken geht („Sah Ein Knab Ein Röslein Stehn“).

„Wenn Du Schläfst“ benennt die Methode der Date-Rape-Drogen („Rohhypnol ins Glas“) und verweist damit auf das, was man „toxische Männlichkeit“ nennt. Es ist die Fantasie, seine „Männlichkeit“ durch Kontrolle der „Weiblichkeit“ zu erhalten. „Toxische“ Menschen glauben, sie könnten die „Frau“ außerhalb und innerhalb ihrer selbst ausschalten. Daher gehören Misogynie und Homophobie auch zusammen.

Lindemann hat sie immer wieder künstlerisch dargestellt:

„Hör auf zu schrei’n und wehr dich nicht“ (Rammstein – „Du Riechst So Gut“)

„Leise, leise wollen wir sein“ (Rammstein – „Wiener Blut“)

„Mein Geschlecht schimpft mich Verräter“ (Rammstein – „Mann Gegen Mann“)

„Und du bist ganz still, hast einen Knebel in dem Mund“ (Lindemann – „Knebel“)

Die Lust an der Unterwerfung und Ausbeutung führt im Extremfall zu sexualisierter Gewalt. Wenn es auch Täter im Musikbusiness gibt, wie etwa KESHA bezeugte, ist eine wirkliche Metoo-Debatte hier noch nicht zustande gekommen. Nachdem Schauspieler Bill Cosby und Filmmagnat Harvey Weinstein verurteilt wurden, wäre es dazu an der Zeit. Erst vor einem Monat meldete sich Sängerin DUFFY nach jahrelanger Abwesenheit zurück und machte ihre Vergewaltigung und Entführung öffentlich. Auch die Popdiven LADY GAGA und MADONNA berichteten von sexualisierter Gewalt, die ihnen im Erwachsenenalter widerfuhr, BETH DITTO, QUEEN LATIFAH und MARY J. BLIGE von ihrem Kindesalter.

Notwendig wäre es, Fälle von Belästigung und Gewalt im Musikgeschäft öffentlich zu machen und zu verbinden. Sich an pornografischen Videos und misogyner Lyrik aufzuhängen, reicht nicht. Denn: Sexismus sells.

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