Wer sich fragt, wer authentisch Empowerment für Kinder anbieten kann und über den großen Teich schaut, landet bei Rappern wie EMINEM und MATTYB. Gibt es vergleichsweise Helden auch hierzulande? Kurz vor der Corona-Zeit gab es einen kleinen Hype um Teenie-Deutschrapper. Doch was sind sie für die Selbstbewusstseinsbildung von Minderjährigen wert?
Zum einen wären da Nachwuchsrapper von etablierten und kleineren HipHop-Labels. MARLO, der mit 15 anfing, war kurzzeitig bei MASSIVs ehemaligen Berliner Label Qualitäter unterwegs und der gleichaltrig beginnende DATA LUV bei Stay High von Cloudrapper UFO361. Noch jünger waren die ungesignte MAMA MALOU (ab 14), der Kreuzberger AGIR (ab 14) von Breitseitenbande und LIL SHRIMP (ab 13). Sie alle sind Insta- und TikTok-Sternchen.
Zum anderen wären da Kanäle wie der des Vereins VDSIS aus Fulda. Dieser versucht die internationalen Erfolge von Kindermusikern der 2010er zu kopieren. Hier wurden Youtube-Phänome wie MattyB, CARSON LUEDERS, JOHNNY ORLANDO und HAYDEN SUMMERALL zu kleinen Popstars. Das selbe Konzept funktionierte auch mit Duos wie MARCUS & MARTINUS, MAX AND HARVEY oder EINO ja AAPELI. Und darum will VDSIS Kids um die 10 wie MELINA, DIMI, LENI, MILAN, MELIAH, FABIEN oder ARTUR „von der Straße ins Studio“ holen, wie es das bundesgeförderte Projekt von sich selbst sagt.
Das erste Problem ist die niedrige Qualität dieser Kindermusik. Wird der Rap-Nachwuchs wie Agir und Lil Shrimp von ihren Labels in durchschnittlichen HipHop eingebaut, der von hochqualitativen Musikvideos begleitet wird, dürfen die Kinder von VDSIS nur zum Teil zu erträglicher Mucke performen. Neben 0815-Lovesongs wird auch furchtbarer Cringe produziert. Nun, das war zu erwarten.
Das zweite Problem wäre, dass nicht jedes Teen-Rap- oder Gesangstalent auch eines als Erwachsener ist. Von den Label-Rapperlein ist Agir technisch gesehen der Beste. Sicher sind Migrantenjungs durchaus motiviert durch seine Videos. Traurig ist die totale Kreativitätslosigkeit seiner Texte und die der anderen. Und die VDSIS-Kids scheinen wie TV-Serienkinder nur über Streit, Liebe und Mobbing zu reden. Zumindest bekommen hier junge Menschen eine Stimme gegen ihre Eltern („Immer Wenn Ihr Schreit“), ihre Lehrer („Mit Gefühlen“) und Mobber („Allein“). Selbstbewusstsein wird aufgebaut („Kämpfe Für Meinen Traum“), doch hier werden reine Performer altbekannter Formate entwickelt, keine Künstler.
Dies führt dann auch zum dritten und schwerwiegendsten Problem: Als gute Vorbilder können diese Youngstars nicht dienen. Bedenklich ist, wie die Teenager von den Raplabels inszeniert werden: Auch in den 2020ern gibt es für migrantische Jungs nur die Rollen des quasi geborenen Kriminellen (Agir) oder des verwöhnten Sohnes (Lil Shrimp). Beide Modelle sind anschlussfähig für rassistische Ressentiments.
Mädchen sind für sie im Falle von Liebe reine Engel, nach der Trennung doch wieder nur geldgeile Flittchen (Agir – „Du Liebst Mich Nicht“). Diese sexistische Sicht wird von den Mädels von VDSIS auch selbst so bestätigt („Bevor Ich Dich Küsse“). Die selbstbewussten Girls treten zwar hart auf, lästern jedoch über andere, wie es das Klischee wünscht. Dass Kids etwas anderes als Geld und Statussymbole im Kopf haben könnten, ist hier schier unmöglich. Geschlechterbilder werden immer wieder bestätigt („Jungs Sind So“). Beachtenswert ist auch, wie sich Agir und Lil Shrimp in ihrem Mini-Beef beleidigten: Klassismus („Warum reimt sich Agir auf HartzIV?“) gegen Agismus („Kind!“).
Agir rappte bereits mit 14 von Drogenverkauf und Messerstecherei, was den Hörer nachdenklich machen sollte. Nun war es in den 50ern üblich, Jugendliche ins Erziehungsheim zu sperren, weil sie Rock’n’Roll hörten. Und noch in den 2000ern fragten Konservative, ob Minderjährige, die Aggro Berlin hörten, nicht als verwahrlost therapiert gehörten. Doch es ist das eine, Musik zu hören und das andere, sie selbst zu produzieren. Mit anderen Worten: Kann ein Minderjähriger bzw. seine Erziehungsberechtigten sich auf die Kunstfreiheit berufen? Charts statt Jugendamt sozusagen? Die liberale Antwort fällt leicht: Klar, die Kids im Kinofilm Es zum Beispiel spielen doch auch Figuren, die fluchen, einbrechen usw. Doch die Erwiderung lautet: Beruft sich ein sogenannter Gangster wie Agir nicht stark auf seine Authentizität? Kann dieser Junge wirklich zwischen sich und der Kunstfigur Agir unterscheiden?
Klar, heutige Kids können rappen, doch eine Hilfe für andere sind sie nicht. In den 90ern durften Kinder nur Songs von Erwachsenen covern, wie bei der Mini Playback Show oder der RTL Kinderhitparade. Das tun ihre Altersgenossen heute zu Tausenden auf Youtube und TikTok. Nachwuchrapper dürfen immerhin bei eigenen Songs ein Wörtchen mitreden.