Wo bleibt das Empowerment für Kids?

36 Jahre ist es her, dass sich HERBERT GRÖNEMEYER „Kinder An Die Macht“ wünschte. Wie weit Deutschland aber immer noch von kindlicher Mitbestimmung entfernt ist, hat die Coronakrise offenbart: Der Staat schloss in den vergangenen beiden Jahren Kitas sowie Schulen und unterband kulturelle Aktivitäten, ohne für einen Ausgleich zu sorgen. Tausende Minderjährige erfuhren im Lockdown körperliche und sexualisierte Gewalt durch ihre Eltern. Da war das totgesagte Patriarchat plötzlich wieder intakt.
In einem Land, in dem die Forschung sich noch nicht einmal auf einen Begriff einigen kann (Altersfeindlichkeit, Agismus, Ageismus, Adultismus…), lässt sich Kinderfeindlichkeit kaum thematisieren. Gleichwohl brauchen Kids Empowerment und suchen es sich vielfach selbst in der Popkultur. Doch ist diese bereit dafür?

Natürlich gibt es moderne Märchenfiguren wie Pippi Langstrumpf („Die macht, was ihr gefällt“) oder ANNIE („Hard Knock Life“). In der Doku Montage of Heck erzählte etwa KURT COBAIN (NIRVANA), wie sehr er von dem Film Wut Im Bauch (1979) beeinflusst war (und damit von Bands wie THE CARS oder JIMI HENDRIX), der Aggression von Vorstadtkids gegen Lehrer, Eltern und Polizisten zeigte. In Deutschland sind freilich nur noch brave Familienfilme wie die Vorstadtkrokodile denkbar.

Nun haben sich viele Theoretiker mit der postmodernen Retromanie der letzten 15 Jahre als Reaktion auf den Neoliberalismus beschäftigt. Die Wirtschaft verdiene dabei sowohl an der Unsicherheit von zukünftigen Erwachsenen (Armut, Schulden, CO2-Belastung, Arbeitsmarkt, Krieg) als auch an deren fiktiver Überhöhung als Retter (Stranger Things, Es, …). Entsprechend sollten die Fridays For Future-Kids politisch nicht nur für sondern auch gegen ihre Boomer- und Millennial-Eltern kämpfen, die ihnen eine schlechtere Zukunft ermöglicht haben.

Minderjährige werden meist von morgens bis abends von Erwachsenen diszipliniert, normiert und dabei oft auch noch missachtet und beleidigt. Zudem verfügen sie kaum über Geld. Wohl genau deshalb gibt es kaum Songs über kindliche Emanzipation. Gleichwohl sind sie im Internet zur relevanten Zielgruppe gereift. Der Nachwuchs hat heutzutage mit Youtube, TikTok und Spotify ein Multiversum von Songs fast frei zur Verfügung.

Hier orientieren sich Kinder aber hauptsächlich an Material von jungen Erwachsenen für junge Erwachsene. Sicher haben Popstars wie LADY GAGA („Born This Way“), AVA MAX („So Am I“), SARA BAREILLES („Brave“), MILEY CYRUS („The Climb“), BILLIE EILISCH („Therefore I Am“) oder KATY PERRY („Roar“, „Firework“) ein paar empowernde Songs anzubieten. Doch was für Mädchen vielleicht wirkt, kann Jungs oft nur abschrecken. Schlimmer noch sind solche Lieder leicht als Kommerz-Lügen durchschaubar, wie etwa MILLIARDEN beklagten: „Katy Perry hat gesagt, ich bin stark, das mich die ganze Welt mag, ’ne neue Chance jeden Tag!“ („Katy Perry“). Statt gespieltem Feminismus könnten Kids echtes Verstehen gebrauchen.

Mögen Rocker und Rapper Vorbilder an Männlichkeit für viele Jungs sein, Selbstbewusstsein für Kinder verbreiten sie nicht. Immerhin, manche Sänger wie MARILYN MANSON („Lunchbox“) oder Rapper wie EMINEM („Bully“) verarbeiteten bereits eigenes Mobbing, KORN („Daddy“), LINKIN PARK („Breaking The Habit“) und MARCUS MUMFORD („Cannibal“) eigenen Missbrauch, ohne familienfreundliche Texte allerdings. Versuchen sich deutsche Interpreten wie JUDITH HOLOFERNES und SVEN VAN THOM oder die Band RANDALE an Kinderliedern, wollen sie doch nur wieder von Eltern gekauft werden.

Am Authentischsten ist es dann, wenn Kids selbst mit eigenen Texten sich gegen Unterdrückung wehren. So kämpfte sich GRACE VANDAWAAL mit dem Song „Clay“ gegen Mobbing in die amerikanische Casting-Öffentlichkeit.

Noch selbstbewusster liegt der Fall bei MATTYB und seinem Titel „Never Too Young“ von 2013:
Tough formuliert er: „See me living while I’m young. Say I couldn’t, shouldn’t, won’t. Oh I can’t? That’s what’s up: I’mma do it on my own!“ Und Gleichaltrigen macht er Mut: „It don’t matter where you’ve been. It only matters where you’re going.“ Er ist wütend darüber, dass seine erste Liebe für ein Mädchen nicht ernst genommen wird: „I don’t care if they keep saying ‚puppy love‘!“
Noch spannender ist die Gender-Verteilung in dem Feature mit dem erwachsenen Schauspieler JAMES MASLOW: In der Zusammenarbeit übernimmt dieser die Rolle des schnulzigen Popsängers, die ihn gegenüber dem routiniert rappenden Matty geradezu effiminiert. Hier erhält also ein 10jähriger volle Solidarität bei seinem Ruf nach Liebesfreiheit von einem 23jährigen.
Im Musikvideo wird die Rollenverteilung auf der Bildebene leider wieder umgekehrt: Hier fordert Matty beim Herumalbern zwar James heraus, muss aber zum Schluss doch brav-kindlich einen Welpen streicheln, womit sein Status als Puppy Lover (dt.: „welpenhaft Liebender“) wieder hergestellt wird. Nun ist kindliche Schwärmerei ein psychologischer Fakt, doch ist sie gegenüber der erwachsenen Liebe keineswegs weniger bedeutsam. Sie ist nur anders, um nicht zu sagen, weniger aggressiv.

Mit „Goliath“ beschreibt MattyB, wie man sich gegen eine Übermacht zur Wehr setzt. Inzwischen selbst erwachsen, produziert er weiter Songs für Kinder („Be Alright“, „Underdog“). Klar ist er ein erfolgreicher Teenstar, ein Held seiner Generation. Und auch sein Held EMINEM („Beautiful“) hat viel für Heranwachsende getan. Doch die Kids brauchen mehr davon, damit sie sich gegen die agistischen Zustände wappnen können.

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