Dass der Disney-Konzern in der Krise steckt, ist nicht mehr zu übersehen. Dem Kultur-Multi wird vorgeworfen, mit seinen Real-Verfilmungen alter Zeichentrick-Klassiker Woke Washing, Feminisierung und Fantasy-Kommerzialisierung von Märchen zu betreiben. Wer die postmodernen Umdeutungen in Filmen der 2010er und 2020er beobachtet, kann nur staunen, wie stark diese Kinderfilme Erwachsene bewegen. Das Hate-Bombing von Disney-Produktionen ist zum Teil des Kulturkampfes in den USA geworden. Filme wie Schneewitchen werden bereits während der Dreharbeiten heiß diskutiert oder gar durch Proteste zur Überarbeitung gezwungen.
Ein Beispiel der völligen Überarbeitung eines Stoffes ist Peter Pan (1904). Er wurde von Disney 1953 erfolgreich adaptiert. Schon der Warner Bros.-Film Pan von 2015 geriet in die Schlagzeilen, weil kritisiert wurde, dass die Figur Tiger Lily von einer Weißen gespielt wurde. 2020 folgte mit Wendy ein Fantasy-Drama von Searchlight Pictures mit einer gar nicht mehr mütterlichen Wendy und einem schwarzen Peter Pan. Dieser Entwicklung folgte nun in diesem Jahr Disney mit Peter Pan & Wendy: Hier traf ein südasiatisch stämmiger Peter Pan auf eine emanzipierte Wendy. Die Konservativen ließen den Film floppen.
In den drei Soundtracks entwerfen John Powell, Dan Romer und Daniel Hart actionreiche Fantasy-Stücke, wie man sie auch von HANS ZIMMER-Soundtracks erwarten würde. Mag man Fantasy noch als postmoderne Märchen gutheißen, macht die Feminisierung historisch keinen Sinn. Der Autor des Buches Peter Pan, J.M. Barrie, legte Nimmerland keineswegs als Traumland von irgendwelchen Waisen an, sondern als Himmel toter Jungen. Das geht aus seiner Biografie hervor. Die Verweigerung, erwachsen zu werden, ging bei ihm womöglich mit einer Sexualisierung von Jungen einher. Nicht nur der Peter Pan-Fan MICHAEL JACKSON ist also hierfür ein Beispiel, sondern Barrie selbst, der Waisenjungen bei sich Zuhause aufnahm.
Ein deutsches Beispiel für diesen Popfeminismus wäre die diesjährige Verfilmung von Das fliegende Klassenzimmer. Erich Kästner beschrieb in seinem Roman 1933 ein Jungen-Internat. Die Verfilmungen von 1954 und 1973 blieben dem Sujet treu, während der Film von 2003 lediglich Werbung für den Leipziger Thomanerchor und HipHop ergänzte. Der neue Film vom Oktober 2023 macht aus der Jungsschule eine gemischte und führt mehrere starke weibliche Figuren ein. TOM SCHILLING spielt übrigens den warmherzigen Direktor Justus.
Die Awareness-Identitätspolitik steckt als Woke-Marketing auch dahinter, wenn Disney die Elfe Tinkerbell aus Peter Pan und die Meerjungfrau Arielle mit nicht-weißen Frauen besetzt oder eben Amazon schwarze Elben und Zwerge für Die Ringe der Macht (2022) erfindet. Schon in Hook (1991) fanden sich wenige schwarze Quoten-Figuren genau wie beim Kampf der Kobolde (1999) oder in den Harry Potter-Filmen. Aber nun geht es auch um Hauptrollen. Doch was soll daran falsch sein? Fiktive Figuren, noch dazu Zauberwesen könnten potentiell völlig frei besetzt werden. Doch selbst diese ethnische Anpassung von Figuren ist nicht neu. So wurden schon früher erfolgreiche internationale Filme für das US-Publikum mit US-Schauspielern neu verfilmt, was dann teilweise scheußliche Ergebnisse brachte wie Die neuen Abenteuer von Pippi Langstrumpf (1988), eine Nachmache der schwedischen Reihe aus den 60/70ern.
Die identitäre Logik der Postmoderne treibt jedoch, einmal ernst genommen, bizarre Blüten. So jubelten Schwarze weltweit, mit Halle Bailey eine schwarze Arielle zu sehen, während genau wie nach den beiden Annie-Filmen Rothaarige jammerten, sie würden mit Bailey eben nicht besetzt. Die Musical-Nummern für den neuen Arielle-Film schrieb übrigens LIN-MANUEL MIRANDA, der selbst zum Beispiel in Mary Poppins Rückkehr (2018) sang.
Dass Disney in der Schneewitchen-Neuverfilmung plante, selbst den Titel („eine Haut so weiß wie Schnee“) mit einer Nicht-Weiß-Besetzung (RACHEL ZEGLER) zu ignorieren, brachte erneut Konservative und Rechte auf die Palme. Die Veröffentlichung wurde aber wegen Protesten aus anderen Gründen um ein Jahr verschoben: Um Kleinwüchsige nicht mit Rollen von Zwergen zu beleidigen, hatte Disney sich die sieben Zwerge als diverse Zauberwesen-Truppe ausgedacht. Dies entsetzte nun die Kleinwüchsigen-Community, sie würden hier ersetzt. Aus Rücksicht darauf, will Disney sie nun durch weiße, digital animierte Zwerge ersetzen.
Auch das ist historisch Unsinn: Geschichtswissenschaftler sind sich recht einig, dass die „Zwerge“ aus dem Grimms-Märchen von 1812 eine Romantisierung von Kindern im Bergwerk-Betrieb darstellen. Diese Form der Kinderarbeit ging mit Mangelernährung, gebückter Haltung und starker Alterung einher. Es sind also gar keine geborenen Kleinwüchsigen gemeint. Dass es überhaupt Diskussionen darüber gibt, ob Mehrheiten oder Minderheiten bestimmte Rollen besetzen dürfen, zeigt, wie identitär weltweit viele Menschen noch immer denken oder postmodern argumentierend schon wieder.
Peter Pan & Wendy. Original Motion Picture Soundtrack
(Walt Disney Records/Universal Music)
28.04.2023
Arielle. Die Meerjungfrau. Original Motion Picture Soundtrack
(Walt Disney Records/Universal Music)
25.05.2023